KI: Bedenken und Potentiale

Nele Hirsch und Joscha Falck haben gemeinsam zu einer Blogparade aufgerufen, die sich kritisch mit dem Thema künstliche Intelligenz in der Bildung befassen soll. Der passende Hashtag hierzu ist . Es gibt bereits eine Vielzahl spannender Beiträge - und ich hoffe, an der einen oder anderen Stelle einen weiteren Gedanken hinzuzufügen.

Meine Perspektive ist hierbei eine doppelte: Als Lehrer bin ich auf der einen Seite zunehmend mit der Nutzung von KI-Tools, allen voran ChatGPT und Bing Copilot, durch Schüler:innen konfrontiert. Auf der anderen Seite bin ich selbst neugierig, habe viele Dinge ausprobiert und plane derzeit ein Seminarfach zum Thema künstliche Intelligenz.

Probleme und Bedenken

Nele und Joscha formulieren in ihrem Beitrag verschiedene Bedenken zur Nutzung von KI im Unterricht: (1) KI dränge andere wichtige Themen in den Hintergrund, es gebe (2) einen fehlenden Fokus auf das Lernen und (3) - damit verbunden - eine Verdrängung des Diskurses um eine Veränderung der Lernkultur. Zudem fehlten (4) empirische Belege für die Wirksamkeit des Einsatzes von KI und spiele (5) dem Profitstreben großer Konzerne in die Hände. Ich teile diese Bedenken weitgehend. Ich werde daher im folgenden versuchen, darüber hinausgehende Bedenken aus meiner Perspektive näher zu betrachten.

Energiebedarf

Große Bedenken bei der Nutzung von KI-Tools habe ich als Physiklehrer im Hinblick auf den unfassbaren Energiebedarf von Tools wie ChatGPT: Selbst OpenAI, die Firma hinter dem prominenten ChatGPT, sieht hier Probleme bei der zunehmenden Entwicklung von KI und der damit verbundenen zunehmenden Nutzung auf uns zukommen. Es scheint so, als sei OpenAI optimistisch, dass sich diese in naher Zukunft durch Kernfusion lösen ließen. Ich persönlich halte diese Hoffnung für unrealistisch (und bin hiermit nicht allein). Die Frage, für welche Zwecke wir im Angesicht des Klimawandels Energie nutzen wollen, muss aus meiner Sicht gestellt werden. KI erhöht den Energieverbrauch immens - und das alles bei einer zunehmenden Elektrifizierung anderer Bereiche (Wärme, Verkehr, ...).

Mit dem hohen Energieverbrauch ist der damit verbundene CO2-Fußabdruck aus meiner Sicht ein Problem. Und auch der Wasserverbrauch ist nicht zu vernachlässigen.

Wettrüsten und Learning for the Grade

Im vergangenen Schuljahr habe ich an mehreren Stellen erlebt, dass Schüler:innen KI-Tools nutzen, um Texte zu verfassen - beispielsweise im Rahmen der Facharbeit, aber auch zur Erledigung von Hausaufgaben. Manchmal wurden diese schlicht per Copy-Paste übernommen (und so Dinge wie Hyperlinks zu Bing oder die "Antworten" von ChatGPT nicht entfernt). Manchmal wurden die Ergebnisse als Grundlage genommen und offensichtlich überarbeitet. Gleichzeitig wurde im Kollegium bereits lang und breit das Tool der FH Wedel zur Erkennung KI-generierter Texte geteilt. Es bahnt sich also ein Wettrüsten an, was den Blick - wie auch Nele und Joschka es beschreiben - auf das Lernen und die für den Umgang mit KI-Tools notwendigen Kompetenzen verstellt.

Zudem: Werden Aufgaben allein durch KI bearbeitet (und per Copy-Paste übernommen), dann fehlt eine Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Lerngegenstand. Wird dieses Vorgehen als erfolgreich erlebt, so verschärft sich die ohnehin weit verbreitete Sichtweise auf Lernen, dass es nur um das Erreichen von Noten geht. Schule wird somit noch weiter zu einem Raum, indem es nur noch um das Erlangen von Qualifikationszertifikaten geht - und nicht um Bildung und Auseinandersetzung mit Lerngegenständen. Eine derartige Entwicklung steht aktuellen didaktischen Ansätzen und Bildungstheorien diametral entgegen.

Fake News

Texte von ChatGPT & Co. klingen oftmals sehr uniform, sie sind - außer Prompts werden kreativ und umfassend erprobt - meist wenig kreativ (Achtung, subjektiver Eindruck). Hierdurch geht Kreativität verloren. Zudem könnte die Zunahme KI-generierter Texte dazu führen, dass zukünftige KI irgendwann nur noch von durch KI generierten Texten lernt. Die Konsequenz ist eine sinkende Qualität des Outputs (Studie)). Zum Teil wurde hier die aus meiner Sicht treffende Bezeichnung Habsburger-KI geprägt.

Und selbst wenn KI-Tools so genutzt werden, wie ich es mir vorstelle (als Werkzeug; für Alle verfügbare Tutorin; als "Gesprächspartner" zum Lernen): KI produziert immer wieder Fehler. Und hier besteht ein Dilemma: Fehler sehe ich nur, wenn ich mich bereits auskenne. Anders gesagt: Ich als "Experte" in meinem Bereich sehe sehr schnell, wenn KI-generierte Texte kleinere Fehler enthalten und kann diese korrigieren. Lernende sind eben Lernende: Sie wollen sich ein Thema oder eine Fähigkeit erschließen und aneignen. Es fehlt daher zunächst das notwendige Hintergrundwissen, um die Korrektheit der Informationen zu beurteilen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma sehe ich derzeit leider kaum.

Potentiale

Ich will es nicht verheimlichen: Trotz aller Probleme bin ich nach wie vor fasziniert vom Potential von KI. Auch und Gerade im Rahmen des Seminarfachs habe ich gemeinsam mit meinen Schüler:innen vieles ausprobiert und möchte einige Aspekte hier beispielhaft nennen, die über die bloße Textproduktion hinausgehen.

Inhaltsanalyse

In meinem derzeitigen Seminarfach erproben wir die Anwendung von Methoden der qualitativen Sozialforschung. Exemplarisch nutzen wir zur Auswertung von Interviews die qualitative Inhaltsanalyse. In Anlehnung an eine Anleitung von Shribe haben wir die Ergebnisse der eigenen Analyse mit den Ergebnissen von ChatGPT verglichen. Es zeigte sich, dass KI zu durchaus vergleichbaren Ergebnissen gelangen kann - und als Grundlage der Reflektion und Weiterentwicklung eines eigenen Kategoriensystems dienen kann. Um fair zu sein: Die Entwicklung eines funktionierenden Prompts kostet selbstverständlich eine Menge an Zeit und Wissen über die Methode.

Texterschließung

Im Rahmen des gleichen Kurses konnten die Schüler:innen die KI-Tools von fobizz nutzen. Insbesondere die Möglichkeit, sich umfangreiche Fachtexte mithilfe von KI erklären und zusammenfassen zu lassen wurde von den Schüler:innen als hilfreich wahrgenommen. KI kann hier die sprachlichen Hürden senken und einen ersten Zugang auch zu komplexeren Fachtexten ermöglichen.

Feedback zu Lernaufgaben

In anderen Kursen habe ich bislang die Möglichkeiten von Feedback-Tools wie fiete ausgelotet. Diese sind derzeit aus meiner Sicht im naturwissenschaftlichen Unterricht nur begrenzt einsetzbar - und zwar genau dann, wenn die Versprachlichung komplexerer Zusammenhänge gefordert wird. Insbesondere im Hinblick auf die fachsprachliche Qualität der Schülerlösungen konnte die KI hier oftmals hilfreiches Feedback formulieren. Für eher mathematisch strukturierte Aufgaben wurde die KI hingegen von den Schüler:innen als wenig hilfreich wahrgenommen - eine Sichtweise, die ich bislang teile.

Fazit

Was ist also mein vorläufiges Fazit? Auch ich habe viele offene Fragen und Bedenken im Hinblick auf die Nutzung von KI. Gleichzeitig sehe ich vielfältige Anwendungen - auch im Hinblick auf einen stärker Schüler:innen zentrierten Unterricht. KI kann somit - allen Gefahren zum Trotz - durchaus Impulse für die Weiterentwicklung von Schule und Unterricht liefern. Insofern sind KI-Tools ein "neues" Tool im Werkzeugkasten.

Anderseits: Der derzeit zu beobachtende Hype ist sicherlich durch überzogene Erwartungen geprägt. Wir alle tun gut daran, den Hype etwas abzukühlen und uns - im Bewusstsein der Gefahren und Probleme - einem pragmatischen Umgang mit KI zu nähern.

Hannes Sander