KI im Physikunterricht:

Ein Projekt in meinem Physikunterricht versucht, klassische Mechanik mit zeitgemäßer Medienproduktion und dem Lernen durch und über KI zu verbinden. In vier Wochen entwickeln Schülerinnen und Schüler eigene Erklärvideos zu Kräften, Hebelgesetz und Flaschenzug, nutzen dabei iPads, generative KI, kleine Experimente sowie Bücher und reflektieren kritisch über Chancen und Grenzen dieser Technologie. Wie entsteht so aus Pflichtstoff echtes Lernerlebnis – und welche Rolle übernimmt die KI dabei? (Disclaimer: Die Einleitung kann Spuren von KI enthalten).

Kontext und Herausforderungen

Mechanik in der 8. Klasse am Gymnasium in Niedersachsen ist oft eher Pflichtprogramm als echtes Lernerlebnis: Newton’sche Axiome, Kraftpfeile, Flaschenzug und Hebelgesetz – Inhalte, die selten den Nerv der Schülerinnen und Schüler treffen. Die genannten Konzepte spielen zwar im Alltag eine große Rolle (Hebel beim Flaschenöffnen, Flaschenzug beim Umzug – alltägliche Technikwunder!), aber der Unterricht wird von den Schülerinnen und Schülern häufig als "trocken" wahrgenommen. Wie lässt sich das ändern? Eine mögliche Antwort: eigene Medienproduktion in freier Formatwahl. Und ganz nebenbei das gemeinsame Ausprobieren und kritische Reflektieren des Einsatzes von KI in diesem Kontext.

Potentiale und Grenzen von KI im Physikunterricht

Welche Möglichkeiten bietet KI im Physikunterricht? Die folgenden Überlegungen sind sicherlich nur beispielhaft und schlaglichtartig:

  • generative KI kann im Unterricht zum persönlichen Tutor werden: Sie erklärt Fachbegriffe und prüft durch gezieltes Nachfragen das eigene Verständnis.
  • liefert als künstlerische Unterstützung Skizzen sowie Abbildungen und
  • unterstützt beim Drehbuchschreiben für Erklärvideos (KI als Co-Autor).

Aber: Nicht jede KI-Antwort ist Gold – vage Formulierungen, falsche Vektorrichtungen oder ungenaue Beispiele fordern kritische Reflexion.
Die Reflexion in Bezug auf die fachliche Qualität der KI-Antworten soll bewusst mit den Schülerinnen und Schülern in den Mittelpunkt gerückt werden. So ist es die Aufgabe der Schülerinnen und Schüler, bewusst Farbmarkierungen einzusetzen, um zutreffende Passagen (grün) von problematischen (rot) zu unterscheiden – Transparenz schafft Vertrauen, und die Schülerinnen und Schüler lernen, Grenzen generativer KI zu erkennen.

Rahmenbedingungen und Planung

Zugegeben, die Rahmenbedingungen für das Projekt sind insgesamt durchaus gut:

  • Geräte & Software: 1:1-Ausstattung mit iPads, erste Erfahrungen mit Videoschnitt auf Seiten der Schülerinnen und Schüler.
  • Inhalte: Newton’sche Axiome, Kraftpfeile, Flaschenzug, Hebelgesetz sind im Grundsatz im Vorunterricht besprochen worden.
  • Zeit: 4 Wochen, effektiv rund 6 Unterrichtsstunden (Ausfälle einkalkuliert).
  • Vorerfahrungen: Erste Erklärvideos wurden durch die Schülerinnen und Schüler bereits erstellt.

Umsetzungsschritte und KI-Einsatz

Die folgende Tabelle zeigt die Struktur des Unterrichtsprojekts und wurde via Hedgedoc auch den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung gestellt.

Phase Inhalte & Aufgaben Dauer
1. Themenrecherche - Recherche des Themas mit Lehrbuch und Beispielvideos
- KI-Recherche: Fragen an KI (fobizz) zur Übersicht
- Notieren der Rechercheergebnisse
- ggf. (freiwillig) Durchführung und Dokumentation passender Versuch
2 UE
2. Videoidee - Brainstorming: Format wählen (Realvideo, Stop-Motion, …)
- Storyboard skizzieren
1 UE
3. KI-Drehbuch erstellen - Prompt an KI (siehe Hilfe)
- Farbliche Markierung:
- ☑ Grün = korrekt
- ☒ Rot = fehlerhaft/unvollständig
- ⚠ Gelb = unklar
- Zu Rot/Gelb: Änderungsvorschläge formulieren
1 UE
4. Produktionsphase - Materialsammlung & Aufnahme / Animation
- Videoschnitt (mit iMovie oder Stop Motion Studio)
2 UE
5. Reflexion - Kurzer Bericht (ca. 1 Seite):
1. Genutzte KI-Tools und Einsatzweise
2. Stärken & Schwächen der KI
3. Verbesserungsvorschläge
Namentlich kenntlich machen, wer was geschrieben hat
1 UE
6. Präsentation - Videos im Plenum vorführen
- Peer-Feedback mit Kritikbogen
1 UE

Die einzelnen Phasen werden im Folgenden genauer beschrieben. Ein Hedgedoc strukturierte den gesamten Arbeitsprozess und fasste neben der Zielsetzung, zeitlichen Rahmenbedingungen auch die zeitliche Struktur und weitere prozessbezogene Hilfen (Anleitungen zur Videoerstellung, Beispielprompts) zusammen. Das Hedgedoc war für die Schülerinnen und Schüler jederzeit zugänglich.

1. Recherche & Themenfindung

Zunächst gilt es, sich das eigene Thema selbst zu erschließen. Hierzu konnte KI genutzt werden - musste es aber nicht. Die einzelnen Gruppen nahmen KI sehr unterschiedlich wahr, die meisten Gruppen diskutierten zentrale Fachkonzepte mit mir als Lehrkraft und nutzten eine klassische Google-Suche. Die Rolle der Lehrkraft ist in dieser Phase wichtiger denn je: Die Schülerinnen und Schüler fragten nach, artikulierten zum Teil ihr Nicht-Verstehen und diskutierten mit mir über Fachkonzepte. Die Hemmschwelle, sich in diesem Setting zu beteiligen, ist meiner Wahrnehmung nach deutlich niedriger als im Unterrichtsgespräch...

Zur Anpassung an das eigene Thema wurde den Schülerinnen und Schülern ein Beispielprompt zur Verfügung gestellt, der an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden musste - sofern sie KI bereits in diesem Recherche-Schritt nutzen wollten.

Erkläre das physikalische Konzept der Beschleunigung auf dem Sprachniveau einer 8. Klasse am Gymnasium in Niedersachsen. Gehe dabei auf folgende Punkte ein: Eine einfache Definition in eigenen Worten. Eine Alltagssituation als Beispiel (z. B. ein Auto, das anfährt). Erklärung der Formel (a = \frac{\Delta v}{\Delta t}) – was bedeuten (a), (\Delta v) und (\Delta t)?
Kurze Illustration: Beschreibe, wie sich die Geschwindigkeit über die Zeit verändert (Weg-Zeit- oder Geschwindigkeits-Zeit-Diagramm). Zwei kurze Verständnisfragen, die das Konzept noch einmal abfragen. Verwende klare, kurze Sätze und erkläre Fachbegriffe direkt im Text.

Zugleich standen für die thematische Recherche auch das Internet mit kuratierten Links (insbesondere Leifiphysik) sowie diverse Schulbücher zur Verfügung. Und natürlich ich als "Hilfekarte auf zwei Beinen".

2. Drehbuchentwicklung mit ChatGPT

Nachdem das Thema inhaltlich erschlossen sowie eine grundlegende Entscheidung zur Art des zu produzierenden Videos getroffen war, sollten die Schülerinnen und Schüler ein Drehbuch für ihr Video erstellen. Zu diesem Zweck wurden ihnen auch hier zwei Beispielprompts zur Verfügung gestellt, die sie an ihre Zwecke anpassen konnten. Einer dieser Prompts lautete:

Erstelle einen vierteiligen Drehbuch-Entwurf für ein Erklärvideo der 8. Klasse zum 2. Newtonschen Gesetz (F = m·a): 1. Szene 1: Einführung – Alltagssituation, in der Kraft und Beschleunigung erkennbar sind. 2. Szene 2: Definition des Gesetzes mit Formel und Erklärung, was Masse, Beschleunigung und Kraft bedeuten. 3. Szene 3: Kurzes Experiment (z. B. Wagen auf Schiene), in dem die Kraft variiert wird. 4. Szene 4: Zusammenfassung und Merkhilfe (z. B. Spruch oder Eselsbrücke).

Das Drehbuch sollte nun vor dem Hintergrund der eigenen Recherche kritisch betrachtet werden. Fachlich korrekte Aussagen zu den physikalischen Hintergründen sollten mit grün markiert werden, unklare oder falsche Aussagen mit gelb bzw. rot. Insbesondere für letztere sollte erklärt werden, was genau an diesen Aussagen falsch bzw. unpräzise war. Die Idee hinter diesem Vorgehen: Die Produkte der KI sollten nicht einfach unkritisch übernommen werden, sondern im Lichte der eigenen Kenntnisse kritisch betrachtet werden. Dies dient als Grundlage der Reflexion (siehe unten).

3. Medienproduktion & Schnitt

Das Format blieb frei – Realvideo, Stop-Motion oder Whiteboard-Animation. Die Schülerinnen und Schüler nutzten hierzu die gesamte Bandbreite der technischen Möglichkeiten des iPads - und kamen zu insgesamt sowohl inhaltlich als auch gestalterisch gelungenen Ergebnissen.

4. Bewertungsraster und Reflexion

Mittels KI wurden von mir vorab Bewertungsraster (als Markdown-Tabellen) erstellt. Sie wurden den Schülerinnen und Schülern von Beginn an zur Verfügung gestellt und halfen, Kriterien wie fachliche Korrektheit und mediale Umsetzung nachzuvollziehen. Abschließend erstellten die Lernenden einen Reflexionsbericht: KI-Stärken, KI-Schwächen, Verbesserungsideen – eine wichtige Meta-Perspektive auf den Werkzeugeinsatz.

Lernprodukte

Im Rahmen des Projekts entstanden gleich mehrere Lernprodukte, die sowohl einen Blick auf den Lernstand der Lernenden erlauben als auch ein genaueres Verständnis des KI-Einsatzes ermöglichen:

  • KI-Drehbuch als PDF mit Farbmarkierungen und Änderungsvorschlägen
  • Erklärvideo (MP4)
  • Reflexionsbericht (max. eine Seite)

Feedback der Lernenden

Am Ende der Einheit wurde das Feedback der Lernenden eingeholt. Das offene Setting mit klaren Rahmenbedingungen und Hilfestellungen wurde als sehr angenehm empfunden, das eigene Thema subjektiv gut verstanden. Einige wenige Lernende artikulierten den Wunsch nach stärker "klassischem" Unterricht - diese Rückmeldungen waren allerdings eher die Ausnahme als die Regel.

Meinen eigenen Beobachtungen nach arbeiteten die allermeisten Kleingruppen konzentriert und zielgerichtet an ihren Projekten. Es erfolgte sowohl eine kritische Auseinandersetzung mit exemplarischen physikalischen Phänomenen als auch mit generativer KI als Werkzeug.

Fazit

Mechanik muss nicht trocken bleiben. In vier Wochen haben die Lernenden nicht nur physikalische Gesetze verstanden, sondern auch digitale Kompetenzen im Umgang mit Medienproduktion und KI geschärft. KI ist kein Allheilmittel – sie verlangt stete Reflexion und Kontrolle. Gleichzeitig kann sie das Lernen unterstützen.

Hannes Sander